Ich leide an einem Loch in meinem Selbstvertrauen. Eines Tages, zu Beginn meines Kunststudiums, verdichtete sich die Schwärze und ich sah es in der vollen Klarheit gleißender Negativität: Ich konnte nichts, war nichts wert und hässlich. Geistig verstockt, ohne echtes Gefühl, und hatte absolut nichts zu sagen. Ich weinte, um die Menschen, die ich verloren und die Chancen, die ich vertan hatte. Der Schmerz füllte mein Bewusstsein, bis keine Tränen mehr kamen. Dann machte ich ein Foto dieses Gesichts.
Von Zeit zu Zeit kehre ich ins Tal der Tränen zurück. Aber ich denke, dass ich dort nicht allein bin, dass die Sorge allgemein ist. Um das Problem formal und an der Wurzel anzugehen, nahm ich mir vor, ein Selbstportrait und dazu ein abstraktes Gegenstück zu malen. Dasselbe Format, dieselben drei Farbtöne: bläulich-lasierendes Zinkweiß, warmdunkles Vandyckbraun und Krapplackrot. Vielleicht würden die beiden Bilder sich gegenseitig helfen.
Nicht-Maler verstehen lediglich die Oberfläche, einfach weil sie nicht wissen, was es heißt, ein Bild zu malen. Nur wer die Striche von innen nachvollzieht, kann diese Dimension der Malerei lesen. So wollte ich veranschaulichen, wie Aussehen und Bedeutung zusammenhängen.
Ich begann mit dem Selbstportrait, nach klassischer Methode. Es dauerte, den richtigen Ausdruck zu treffen, aber ich konnte ihn nun von außen beobachten. Da war die Trauer, der Schmerz. Zugleich das Beruhigende einer Selbsterkenntnis, die stets das Gute am Schlimmen ist. Und schließlich das Jämmerliche, ja Absurde der ganzen Situation.
Schwieriger war das ungegenständliche zweite Bild. Ich hatte einige Kompositionsskizzen gemacht, die ich nun freihändig ausarbeitete. Beim Malen denkt man nicht in Worten, das meiste ist forschendes Sehen und intuitive Handlung. „Das muss jetzt dunkler... drei Striche quer. Ein vierter... weiter, hier rot, ganz fein...Punkt... Nein, das ist zu - - - alles vermalen. Und wenn ich jetzt – dies zum Ausgleich... Nein, zu ausgeglichen. Wieso ist da jetzt ein Kreuz, das muss weg... das braucht WEISS!“ - Es fühlte sich richtig an.
Am nächsten Tag betrachtete ich das Bild mit frischen Augen. Ja... das hatte was. Oder? Nein... das war es noch nicht. Ich schliff die Farbe ab und malte ein neues. Hilfe suchte ich in rationaler Methodik, dachte über die Semantik von ungegenständlichen Bildern nach: Man hatte Farbe, Komposition und Gestik. Ich machte weitere Skizzen, um herauszufinden, warum die räumliche Zentralkomposition des Portraits sich mit bestimmten anderen Kompositionen biss. Und versuchte immer wieder, den Charakter des Portraits begrifflich zu bestimmen – suchte ich ein ruhiges oder grelles Bild, Kontrast oder Harmonie? Konnte ich eine Oberfläche zitieren – wie einen Eisberg, einen Lichtstrahl, Nebel oder Schorf? Das war ja wieder sehr gegenständlich. Widersprachen mutige Pinselzüge dem Portrait – oder waren sie Ausdruck des Schmerzes? Wenn ich aber beim Malen doch glücklich war, konnte ich dann den Schmerz einfangen?
Ich probierte es mit verschiedenen Techniken wie Rakeln, gezieltem Krakeln, Schmirgeln oder einer Handlungsanweisung: Das Bild, das entsteht, wenn man immer wieder denselben Fehler macht. Aber so funktionierte das nicht. Und immer wieder hatte ich dasselbe Problem. Ästhetische Gewissheit stellte sich nicht ein, das abstrakte Bild schien sich gegen eine bedeutungsmäßige Bestimmung seiner Visualität zu sperren – es blieb ein Bild des Unvertrauens, ein schwaches Bild.
Leute, die mich im Atelier besuchten, hatten trotzdem eine Meinung.
„Ach Toni! Deine Nase ist doch gar nicht so groß! Mach’ dich doch nicht so hässlich“, sagte meine Tante. „Nee, nee... das passt nich, weil das eine macht ja einen Raum auf, und das andere ist mehr so eine Fläche“, stellte ein ehemaliger Kommilitone fest. „Doch! Ich sehe in dem Abstrakten genau das Unentschiedene, das Zerfressene, das zu diesem Portrait geführt hat!“, meinte ein Feuilleton-Redakteur. Damit konnte ich leben. Aber ginge das in Zukunft nicht vielleicht ein bisschen ...schöner?
Ich leide an einem Loch in meinem Selbstvertrauen. Eines Tages, zu Beginn meines Kunststudiums, verdichtete sich die Schwärze und ich sah es in der vollen Klarheit gleißender Negativität: Ich konnte nichts, war nichts wert und hässlich. Geistig verstockt, ohne echtes Gefühl, und hatte absolut nichts zu sagen. Ich weinte, um die Menschen, die ich verloren und die Chancen, die ich vertan hatte. Der Schmerz füllte mein Bewusstsein, bis keine Tränen mehr kamen. Dann machte ich ein Foto dieses Gesichts.
Von Zeit zu Zeit kehre ich ins Tal der Tränen zurück. Aber ich denke, dass ich dort nicht allein bin, dass die Sorge allgemein ist. Um das Problem formal und an der Wurzel anzugehen, nahm ich mir vor, ein Selbstportrait und dazu ein abstraktes Gegenstück zu malen. Dasselbe Format, dieselben drei Farbtöne: bläulich-lasierendes Zinkweiß, warmdunkles Vandyckbraun und Krapplackrot. Vielleicht würden die beiden Bilder sich gegenseitig helfen.
Nicht-Maler verstehen lediglich die Oberfläche, einfach weil sie nicht wissen, was es heißt, ein Bild zu malen. Nur wer die Striche von innen nachvollzieht, kann diese Dimension der Malerei lesen. So wollte ich veranschaulichen, wie Aussehen und Bedeutung zusammenhängen.
Ich begann mit dem Selbstportrait, nach klassischer Methode. Es dauerte, den richtigen Ausdruck zu treffen, aber ich konnte ihn nun von außen beobachten. Da war die Trauer, der Schmerz. Zugleich das Beruhigende einer Selbsterkenntnis, die stets das Gute am Schlimmen ist. Und schließlich das Jämmerliche, ja Absurde der ganzen Situation.
Schwieriger war das ungegenständliche zweite Bild. Ich hatte einige Kompositionsskizzen gemacht, die ich nun freihändig ausarbeitete. Beim Malen denkt man nicht in Worten, das meiste ist forschendes Sehen und intuitive Handlung. „Das muss jetzt dunkler... drei Striche quer. Ein vierter... weiter, hier rot, ganz fein...Punkt... Nein, das ist zu - - - alles vermalen. Und wenn ich jetzt – dies zum Ausgleich... Nein, zu ausgeglichen. Wieso ist da jetzt ein Kreuz, das muss weg... das braucht WEISS!“ - Es fühlte sich richtig an.
Am nächsten Tag betrachtete ich das Bild mit frischen Augen. Ja... das hatte was. Oder? Nein... das war es noch nicht. Ich schliff die Farbe ab und malte ein neues. Hilfe suchte ich in rationaler Methodik, dachte über die Semantik von ungegenständlichen Bildern nach: Man hatte Farbe, Komposition und Gestik. Ich machte weitere Skizzen, um herauszufinden, warum die räumliche Zentralkomposition des Portraits sich mit bestimmten anderen Kompositionen biss. Und versuchte immer wieder, den Charakter des Portraits begrifflich zu bestimmen – suchte ich ein ruhiges oder grelles Bild, Kontrast oder Harmonie? Konnte ich eine Oberfläche zitieren – wie einen Eisberg, einen Lichtstrahl, Nebel oder Schorf? Das war ja wieder sehr gegenständlich. Widersprachen mutige Pinselzüge dem Portrait – oder waren sie Ausdruck des Schmerzes? Wenn ich aber beim Malen doch glücklich war, konnte ich dann den Schmerz einfangen?
Ich probierte es mit verschiedenen Techniken wie Rakeln, gezieltem Krakeln, Schmirgeln oder einer Handlungsanweisung: Das Bild, das entsteht, wenn man immer wieder denselben Fehler macht. Aber so funktionierte das nicht. Und immer wieder hatte ich dasselbe Problem. Ästhetische Gewissheit stellte sich nicht ein, das abstrakte Bild schien sich gegen eine bedeutungsmäßige Bestimmung seiner Visualität zu sperren – es blieb ein Bild des Unvertrauens, ein schwaches Bild.
Leute, die mich im Atelier besuchten, hatten trotzdem eine Meinung.
„Ach Toni! Deine Nase ist doch gar nicht so groß! Mach’ dich doch nicht so hässlich“, sagte meine Tante. „Nee, nee... das passt nich, weil das eine macht ja einen Raum auf, und das andere ist mehr so eine Fläche“, stellte ein ehemaliger Kommilitone fest. „Doch! Ich sehe in dem Abstrakten genau das Unentschiedene, das Zerfressene, das zu diesem Portrait geführt hat!“, meinte ein Feuilleton-Redakteur. Damit konnte ich leben. Aber ginge das in Zukunft nicht vielleicht ein bisschen ...schöner?
Weinen um / Diptychon, je 40x30 cm / Öl auf Leinwand+MDF / 2019
Weinen um 2 / 13x8,4cm / Öl auf Holz / 2020